MOMENTAUFNAHME
Den Menschen sehen.

HINGABE // KIRSTEN BRUHN, 23,
WELTWEIT ERFOLGREICHE HANDICAP-SCHWIMMERIN

Ein Jahr lang hat mich die Filmkamera für den Dokumentarfilm „Gold – Du kannst mehr als Du denkst“ begleitet. Die Rückschau war emotional anstrengend: Mein Unfall im Jahr 1991, die Diagnose Querschnittslähmung, die Erkenntnis, dass vieles nicht mehr so sein würde wie vorher – ich durchlebte alles noch einmal. Und doch sehe ich heute den Wendepunkt in meinem Leben nicht am Tag des Unfalls, sondern elf Jahre später. An dem Tag, an dem ich mich darauf einließ, das Schwimmen wieder als Wettkampfsport aufzunehmen. Trotz meiner Behinderung. Oder sollte ich besser sagen: wegen meiner Behinderung?

Auf den ersten Bahnmetern fuhren meine Gedanken Achterbahn. Es fühlte sich so gut an, sich wieder mit anderen im Wasser zu messen. Aber war ich hier richtig? Unter behinderten Menschen? In der einen Sekunde wollte ich nichts wie weg, in der nächsten fühlte ich mich so gut wie schon lange nicht mehr.

Ich schwamm die zweitbeste Zeit. Es war wunderbar. Ich spürte, wie sehr ich den Leistungssport, der vor dem Unfall zu meinem Leben gehörte, vermisst hatte. Ich war plötzlich wieder lebendig.

Zu realisieren, dass man behindert ist, ist eine Sache. Sport mit Handicap jedoch auch mit Stolz und Begeisterung nach außen zu tragen, eine ganz andere. Ich habe es gelernt, sehr schnell sogar, denn unser Sport unterscheidet sich nicht von der „normalen“ Sportwelt. Es geht um den Menschen – und nicht um seine Behinderung. Es geht um Leidenschaft und Leistung, um Aufgaben und Ziele, die man sich selbst setzt und unbedingt schaffen will. Je mehr Training ich mir zumutete, desto besser fühlte ich mich. 2004 gewann ich meine erste Goldmedaille bei den Paralympischen Spielen in Athen. Weitere sollten folgen.

Im Februar 2013 ist „Gold“ in den Kinos angelaufen. Der Film zeichnet auch die Karrieren des blinden Marathonläufers Henry Wanyoike aus Kenia und des australischen Rennrollstuhlfahrers Kurt Fearnley nach. Wir sind erfolgreiche Sportler mit Handicap, wir sind Goldmedaillen-Gewinner. Wir sind glücklich mit unserem Leben. Es ist diese Botschaft, die uns verbindet und die wir in die Welt hinaustragen wollen: Ein Leben mit Behinderung ist nicht schlimm. Nur anders.

FOTOGRAF Andreas Mühe

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